Carlotta Monath
„Katzendorf vereint so viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Kulturen, sodass man jeden Tag neue Lebensansichten kennenlernt und sogar selbst einnimmt.“
Hans Peter Schuster
„In Katzendorf ist nichts für die Katz – ganz im Gegenteil: Für mich ist Katzendorf der Begegnungsort wo Poesie, Geist, Witz, Natur und pures Leben zu einer Melange zusammenfinden.“
Pia van den Bruck
„Sitzt du und denkst? Ich sitze.“
Carina Bodea
„Im Dorf mit unausgesprochenen Worten, nichterzählten Geschichten und unentdeckten Geheimnisse wurde gesprochen, erzählt und entdeckt.“
Bericht
Nach zehn Tagen im gar nicht so fernen Rumänien, fühlen wir uns plötzlich wieder in Berlin doch sehr weit weg und müssen diese Zeit und unsere vielen Erlebnisse erst einmal rekapitulieren. Man könnte die Zeit in einem abwechslungsreichen Spannungsbogen zusammenfassen. Ankommen, sich fremd fühlen, sich Zuhause fühlen, eine Verbindung zu den Menschen finden oder eben manchmal auch nicht. All diese gemischten Gefühle durchlebten wir, um jetzt froh auf eine wundervolle Zeit zurückzublicken und uns zu wünschen, gleich wieder ein paar Tage zurückkehren zu können. Eigentlich lebten wir dort den Traum Dokumentarfilmender.
Am ersten Samstagabend kamen wir erschöpft und aufgeregt an und befanden uns plötzlich vor einem großen Holztor, hinter dem sich das grüne idyllische Anwesen von Frieder eröffnete. An das Klingeln der Glocke über der Tür sollte man sich im Laufe der Zeit gewöhnen. An diesem Abend lernten wir neben Frieder auch die drei Übersetzer und Filminteressierten Carina, Iza und Hans-Peter kennen, ohne die das Projekt so nicht möglich gewesen wäre. Der Empfang war herzlich und wir feierten den Geburtstag unseres Gastgebers. Wir aßen die erste von vielen darauffolgenden sehr, sehr guten Mahlzeiten, zubereitet von Irina und Alexandra und gebracht von Emil, denen wir wahnsinnig dankbar sind für die tolle Verpflegung und Bewirtung.
Am folgenden Tag bekamen wir bei einem Spaziergang den ersten Eindruck vom Dorf. Dieser führte uns über Wiesen einen Berg hinauf, auf dem man über das Dorf blicken konnte, weiter durch die Siedlung der Roma (welche sich selber Ziga nennen) mit ihren bunten, provisorisch aussehenden Häusern mit Wellblechdächern. Diese stehen im Kontrast zum darauffolgenden restlichen Dorf, bewohnt von Rumänen, Ungarn und Sommersachsen, in dem es eher bunte Steinhäuser gibt. Viele sind verfallen und stehen leer. Neben der belebten Romasiedlung besuchten wir einen Friedhof. Ab da wurde ein Teil unserer Gruppe direkt von interessierten und hilfsbereiten Jungs, Calim und Bogdan durch das weitere Dorf geführt. Wie auch an den anderen Tagen versuchte man bei der abendlichen Besprechung die Eindrücke des Tages in Worte zu fassen. Wir machten uns Notizen, was mögliche Dokumentationsthemen anbelangte, und schon am ersten Tag schwirrten viele Themen auf einmal im Kopf herum.
Eine Idee war das Verständnis von Zeit. Die Einstellung zu Arbeit interessierte uns. Wo beginnt sie und wo hört sie auf? Was ist Zeitvertreib? Außerdem saßen ab dem späten Nachmittag viele Menschen – meist alleine – vor den Häusern auf Bänken. Das wollten wir ergründen. Das Dorf gab uns erst Ideen und stellte unsere ganze Wahrnehmung dann auf den Kopf. Nach den ersten euphorischen Tagen der Themensuche war plötzlich nicht mehr die idyllische Landschaft so präsent, sondern die wirklichen Probleme der Bewohner, das übereinander Reden, die Vorurteile, das Alleinsein und die Armut rückten in den Vordergrund. Nachdem wir aber zwei Tage später wieder auf Menschen trafen, die offen und freundlich mit uns interessante Gespräche führten, schien alles wieder in einem anderen Licht. Die Gespräche handelten unter anderem über die Auswanderung und die Vergangenheit des Dorfes, welches früher größtenteils von Siebenbürger Sachsen bewohnt war.
Wir redeten mit Menschen die auf Bänken saßen, um herauszufinden, wieso sie das tun. Außerdem wollten wir daraus eine Collage erstellen, um Dorfimpressionen zu geben. Ein passender rumänischer Witz dazu wurde uns erzählt: Einer geht an einem anderen vorbei, der auf der Bank vor seinem Haus sitzt und fragt: „Sitzt du und denkst?“ Der Andere antwortet: „Ich sitze nur.“
Auf unserer Suche nach auf Bänken Sitzenden fanden wir auch unseren Protagonisten. Nicu saß vor seinem Haus. Fast wären wir weiter gelaufen, entschieden uns aber doch ihn, trotz seiner verschränkten Arme anzusprechen. Nach einem anfangs stockendem Gespräch („Warum sitzt du hier?“ „Weil ich Rentner bin.“), welches uns vor Augen führte, dass unser Film nicht so einfach in die erdachte Richtung gehen würde, wie wir es uns vorgestellt hatten, lockerte sich die Stimmung und Nicu lud uns zu Kaffee und Kuchen ein. Sein Humor wurde schnell deutlich als er sagte, dass das Essen natürlich nicht vergiftet sei. Außerdem öffnete er all seine Schränke, um uns sein Hab und Gut zu zeigen und dann zu sagen: „Ich habe nichts zum Anziehen“. Damit spielte er mit möglichen Vorurteilen über die armen Rumänen und reichen Deutschen. Er erzählte weiter über seine ausgewanderten Töchter und Verwandte und darüber, wie er allein zurückgeblieben ist.
Daraus entwickelte sich zuerst war unser Plan, Nicu und seine Geschichte neben zwei anderen Perspektiven auf die Auswanderung zu beleuchten. Eine Frau, Maria, die auch vor ihrem Haus saß und über ihre ausgewanderten Kinder mit uns redete sowie die Jugendlichen, die noch in Katzendorf sind und sich immer auf dem Platz in der Mitte des Dorfes treffen, sollten die anderen zwei Teile bilden. Die Gruppe Jugendliche, die noch da sind und die Entscheidung wegzugehen vor sich haben, hätten im Kontrast zu den beiden älteren Menschen gestanden, die alleine zurückgeblieben sind.
Leider sagten Maria und die Jugendlichen aus verschiedenen Gründen doch ab, in unserem Film vorzukommen. Wir erfuhren auch von anderen Menschen Ablehnung, die uns plötzlich nichts mehr erzählen wollten. Umso mehr fühlten wir uns zu dem Zeitpunkt als Fremdkörper im Dorf, als unangenehme, reiche Deutsche, die die Menschen nur nerven, die in Ruhe gelassen und nicht ausgestellt werden wollen.
Also konzentrierten wir uns auf die Verabredung mit Nicu und drehten mit ihm in seinem Haus ein Interview. Lange überlegten wir im Kiosk, was wir ihm als Gastgeschenk mitbringen könnten. Wir entschieden uns für eine ansprechende Keksauswahl. Mit dieser in der Tasche und in voller Filmmontur gingen wir zu ihm nach Hause. Er gab uns zu verstehen, dass er noch einmal zum Kiosk müsse, um etwas zu besorgen. Wir warteten kurz und als er wieder kam, gingen wir direkt in sein Haus. Er legte seinen Einkauf, eine Packung Kekse auf den Tisch. Wir legten die exakt gleiche Packung daneben. Eine wurde geöffnet, wir setzten uns und er fing direkt an zu erzählen. Danach baten wir ihn uns noch einmal herumzuführen. Er verhielt sich genauso, wie bei unserem ersten Treffen ohne Kamera und gab ohne zu zögern alles preis.
Carina übersetzte anschließend das einstündige Interview, wir sammelten noch ein paar Impressionen des Dorfes und dabei erlebten wir doch noch einige spannende Unterhaltungen mit Menschen aus dem Dorf, die über ihre Geschichte erzählten und sich freuten, dass wir interessiert zuhörten. Unsere Stimmung hellte sich damit auch nochmal mehr auf.
So wurde der Film in kürzester Zeit auch noch geschnitten und untertitelt. Am letzten Abend liefen alle Filme bei einem Screening in der Scheune, bei dem viele Protagonisten und Menschen aus dem Dorf anwesend waren. Nicu war leider nicht da, aber wir hoffen, dass er den Film trotzdem irgendwann noch sehen wird.